Zahnlose Tiger, Löwinnen und Löwen
29. September 2018 – «Direkt aus Bern» über die Debatte zur Lohngleichheit im eidgenössischen Parlament – Meine neueste Gastkolumne für die Luzerner Zeitung.
Das Thema Gleichstellung sorgt regelmässig für rote Köpfe. So geschehen am letzten Montag bei der Debatte um die Lohngleichheit. Der Ständerat hat das Gesetz zuerst beraten und die bereits moderate Vorlage aufgeweicht. So sollen künftig Unternehmen ab hundert Mitarbeitenden alle vier Jahre eine Lohngleichheitsanalyse durchführen müssen, um festzustellen, ob Männer und Frauen bei gleicher Arbeit auch tatsächlich den gleichen Lohn erhalten. Wenn nach der ersten Analyse diese Bedingung erfüllt ist, wird das Unternehmen von dieser Verpflichtung für immer und ewig entbunden. Nach zehn Jahren wird das Gesetz evaluiert; nach zwölf Jahren kommt eine «Sunset-Klausel» zur Anwendung: Das Gesetz erlischt. In unserem Rat wurde die Vorlage ein weiteres Mal abgeschwächt, indem die Lehrlinge gar nicht und nur Vollzeitstellen für die Lohnanalyse gezählt werden. Dem Tigerlein wurde das letzte Zähnchen gezogen.
Die Opposition, selbst gegen diese milde Gesetzesvorlage, bleibt gross. Da wird von unglaublicher Bürokratie gesprochen, davon, dass das Gesetz nichts bringe und es ohnehin keine Lohndiskriminierung gäbe, sämtliche Studien darüber haltlos seien und auf falschen Annahmen beruhten. Diesen Einwänden ist entgegenzuhalten, dass wir einen bald 40-jährigen verfassungsmässigen Grundsatz für gleichen Lohn bei gleicher Arbeit kennen, dass es zwischen Männern und Frauen immer noch eine unerklärliche Lohndifferenz von rund 7 Prozent gibt und dass in den letzten Jahren in dieser Hinsicht kaum eine Verbesserung stattgefunden hat.
Das Gleichstellungsgesetz ist deshalb ein pragmatischer, längst fälliger Schritt in die richtige Richtung. Es wird zu einer Sensibilisierung der Unternehmen gegenüber Lohnfragen führen und das Bewusstsein für gleichen Lohn für gleiche Arbeit erhöhen. Selbst ein zahnloses Tigerlein bleibt ein kleines Raubtier…
So viel zum Wochenanfang. Aufs Wochenende hin haben zwei Bundesräte ihren Rücktritt angekündigt. Anstelle von Würdigungen ihrer geleisteten Dienste für unser Land dominiert bereits die Frage ihrer Nachfolge. Die eine scheint relativ klar zu sein; bei der anderen wage ich zum jetzigen Zeitpunkt keine Prognose. Da kann ich genauso gut in die Kristallkugel blicken. Dort sehe ich einen vor Kraft strotzenden, dickhäutigen, robusten Löwen – oder ist es eine Löwin?
Dieser Beitrag ist am 29. September als Gastkolumne «Direkt aus Bern» in der Luzerner Zeitung erschienen.