Der Auftrag definiert die Mittel – nicht umgekehrt
17. November 2020 – Das knappe Resultat der Kampfjet-Abstimmung vom 27. September weckt politische Begehrlichkeiten. Die Gegner stellen direkt und indirekt die beschlossenen Mittel und damit den Auftrag der Luftwaffe infrage. Drei bürgerliche Ständeräte plädieren dafür, am eingeschlagenen Weg festzuhalten.
Von Thierry Burkard, Andrea Gmür und Werner Salzmann
Das Auswahlverfahren für die neuen Kampfjets kommt Anfang nächstes Jahr in die heisse Phase: Sobald die Experten der Beschaffungsbehörde Armasuisse ihre Empfehlung abgegeben haben, wird es politisch. Der Bundesrat trifft die Typenwahl, dann kommt das Geschäft mit dem Rüstungsprogramm 2022 ins Parlament. Sechs Milliarden Franken sind im ordentlichen Budget für den Kauf von 30 bis 40 neuen Kampfflugzeugen bereits reserviert.
Das Volk hat am 27. September das Vorgehen an der Urne bestätigt. Das knappe Resultat ändert die Ausgangslage nicht. Die Fakten lagen vor Abstimmung klar auf dem Tisch. Politische Tricks, die Beschaffung doch noch zu torpedieren, sind unstatthaft und der Lage nicht angemessen. Die Spannungen und bewaffneten Konflikte nehmen laufend zu.
Als die bundesrätliche Expertenkommission 2017 den Bericht «Luftverteidigung der Zukunft» publizierte, war die Krim bereits russisch besetzt, wurde in der Ostukraine und in den Bürgerkriegen in Syrien und Libyen intensiv gekämpft, und Luftkriegsmittel wie Kampfflugzeuge, Helikopter und Drohnen wurden zur Aufklärung und zur Bekämpfung von Zielen oftmals mit entscheidender Wirkung eingesetzt. Auch im neu ausgebrochenen Konflikt zwischen Armenien und Aserbeidschan werden Bodenstreitkräfte und Luftkriegsmittel gemeinsam eingesetzt.
Derweil glauben hierzulande noch zu viele, die Schweizer Luftwaffe sollte künftig nur Luftpolizeidienst am Schweizer Himmel verrichten. Wegen des knappen Ergebnisses der Volksabstimmung vom 27. September versuchen sie, eine Reduktion des Auftrags auf den Luftpolizeidienst mit weniger und einfacheren, sprich billigeren, Flugzeugen zu erreichen. Das wäre ein verhängnisvoller Fehlschluss für die Einsatzfähigkeit und damit die Glaubwürdigkeit unserer Armee.
Der erwähnte Expertenbericht und der 2018 publizierte Anforderungskatalog an neue Kampfflugzeuge haben unmissverständlich umschrieben, was die neuen Kampfflugzeuge neben Luftverteidigung und Luftpolizeidienst zu leisten haben: Die neuen Kampfflugzeuge müssen in der Lage sein «[…] einem Gegner während einer beschränkten Zeit die Erlangung der Luftüberlegenheit zu verunmöglichen und gleichzeitig die Armee mit operativem Feuer ausserhalb der Reichweite der eigenen Artillerie und mit Luftaufklärung zu unterstützen.» Also vernetzte Aufklärung aus der Luft für Armee und zivile Behörden und die Fähigkeit für Luftangriffe mit präzisen Raketen oder Lenkbomben gegen hochwertige Ziele in grosser Entfernung. Denn die Reichweite unsere Artillerie beträgt weniger als 30 Kilometer, und sie hat auch keine ballistischen Raketen oder Marschflugkörper.
Nichts davon ist geheim oder überraschend. Dies konnte selbst im «Abstimmungsbüchlein» nachgelesen werden: „Mit Kampfflugzeugen werden zudem Aufklärungsflüge durchgeführt und Einsätze gegen feindliche Ziele am Boden geflogen.“. Unser Anforderungskatalog gleicht jenem anderer europäischer Länder, die zahlreich neue Kampfflugzeuge beschaffen. Schweden will die Ausgaben für die Verteidigung in den nächsten fünf Jahren um 40% steigern. Die Nachbarländer der Schweiz hätten kein Verständnis, wenn eines der reichsten Länder der Welt sich den Luxus leistete, faktisch auf eine Luftwaffe zu verzichten und zur sicherheitspolitischen Trittbrettfahrerin zu werden.
In einem bewaffneten Konflikt wäre die Armee heute kaum fähig, luftgestützte Aufklärung zu betreiben, also aus der Luft Nachrichten über den Gegner zu beschaffen. Die wenigen Drohnen sind sehr verwundbar, Aufklärungs-Satelliten hat die Schweiz keine. Diese für eine souveräne Landesverteidigung gravierende Lücke wird mit den Aufklärungsfähigkeiten der neuen Kampfflugzeuge teilweise geschlossen. Und sie ist nötig, damit die Luftwaffe auch Operationen der Armee am Boden wieder unterstützen kann. Denn wer nichts sieht, kann nichts treffen. Aber wer genau sieht, kann präzise treffen.
Die Vorstellung, dass Schweizer Kampfflugzeuge Städte bombardieren würden, ist böswillig falsch und der reinen politischen Demagogie geschuldet. Richtig ist, dass die Schweizer Luftwaffe die Fähigkeit erlangen wird, identifizierte, strategisch und taktisch wichtige Ziele mit Präzisionswaffen auszuschalten, die mit anderen Mitteln nicht angreifbar sind. Das können nur moderne Mehrzweck-Kampfflugzeuge. Das hat mit der armeefeindlichen Begriffsschöpfung «Luxus-Kampfjet» nichts zu tun.
Als selbstkritische Erkenntnis vom 27. September bleibt, dass es sowohl dem Abstimmungskomitee, noch der Vorsteherin des VBS oder der Luftwaffe im Abstimmungskampf gelungen ist, der Schweizer Bevölkerung die Notwendigkeit von Mehrzweckkampfflugzeugen genügend aufzuzeigen. Immerhin ist mehr als die Hälfte der Abstimmenden auch ohne detaillierte Kenntnisse zu Beschaffungsumfang und Herkunft der Jets bereit, Bundesrat und Parlament das Vertrauen zu schenken.
Die für eine erfolgreiche Fortführung der Beschaffung wichtige politische Akzeptanz von Typenwahl und Ausrüstung der neuen Kampfflugzeuge erfordert aber jetzt seitens des Bundesrats, der Armee und den sicherheitspolitischen Akteuren eine intensivierte Information über alle Fähigkeiten der Luftwaffe. Die Schweizer Luftwaffe dient primär dem Verfassungsauftrag der Landesverteidigung. Der Luftpolizeidienst ist ein Teil des Auftrags, aber nicht Hauptaufgabe. Die Idee, mit Trainingsflugzeugen diese Aufgabe zu erfüllen, bleibt auch nach der Abstimmung ein sachlicher Fehlschuss.
Wir benötigen deshalb Klartext, wieso nur moderne Mehrzweck-Kampfflugzeuge vielseitig genug einsetzbar sind, um den ganzen Auftrag erfüllen zu können. Voraussetzung ist, dass die Evaluationsverantwortlichen, der Bundesrat und das Parlament ihren vom Schweizer Volk bestätigten Auftrag erfüllen: die plangemässe Beschaffung von 30 bis 40 Mehrzweckkampfflugzeugen für maximal 6 Milliarden Franken.
Dieser Artikel ist am 17. November 2020 als Meinungsbeitrag in der NZZ erschienen.