Sicherheit braucht Weitblick und entschlossenes Handeln
13. Mai 2025 – Als Präsidentin der Sicherheitspolitischen Kommission des Ständerates beschäftigt mich die unsichere internationale Lage, vor allem der Krieg in der Ukraine und seine möglichen Konsequenzen für unser Land.
Weshalb? Seit mehr als drei Jahren herrscht Krieg, und wir wissen heute nicht, wie dieser sich längerfristig entwickeln wird. Was passiert, wenn Putin diesen Krieg gewinnt? Wer die Feierlichkeiten in Moskau zum 80. Jahrestag des Sieges über Nazi-Deutschland verfolgt hat, konnte beobachten, wie es dem russischen Staatschef gelingt, seine Landsleute so zu manipulieren, dass sie der Überzeugung sind, dieser «heroische» Krieg gegen den Westen sei überlebensnotwendig für das russische Volk. Putin hat längst auf Kriegswirtschaft umgestellt. Er lässt pro Jahr 1500 Panzer produzieren, bedeutend mehr als er im Ukrainekrieg einsetzen kann. Ein grosser Teil dieser Panzer geht wohl in ein Lager. Die Armee wird weiter ausgebaut. Russland bereitet sich auf noch Grösseres vor.
Worauf? Womöglich darauf, den Krieg in Richtung Westen auszuweiten? Polen, Schweden, Finnland und die baltischen Staaten fürchten sich seit langem davor. Polen ist das Land, welches der Ukraine am meisten Hilfe leistet – wohl nicht nur aus Altruismus. Schweden und Finnland sind jetzt Mitglied der Nato geworden. Estland, Lettland und Litauen sind klein, liegen rein geographisch in unmittelbarer Nachbarschaft Russlands. Der litauische Botschafter zeigte sich mir gegenüber in einem persönlichen Gespräch sehr beunruhigt und befürchtet eine Eskalation; eine Einschätzung, die ich teile.
Stellen Sie sich einmal folgendes Szenario vor: Falls Russland in der Ukraine gewinnt, könnte für Putin in zwei bis drei Jahren der Zeitpunkt da sein, in Richtung Westen vorzurücken. Nehmen wir dafür als Beispiel Narva, die östlichste und drittgrösste Stadt Estlands. Sie liegt am gleichnamigen Fluss Narva, der die Grenze zu Russland bildet. Narva ist ein wichtiger Industrieknotenpunkt und ebenso das Zentrum der russischsprachigen Minderheit Estlands, zu der ungefähr 95 % der Einwohner Narvas gehören. Es wäre ja nicht überraschend, wenn der russische Präsident heute schon den Eindruck hätte, dieses Gebiet gehörte Russland. Putin könnte also versucht sein, die Reaktion der NATO bei einem Einmarsch in Narva zu prüfen. Estland ist ein Nato-Staat. Wird ein Nato-Staat angegriffen, gilt Artikel 5, das heisst der Bündnisfall kommt zum Zug. Die übrigen Nato-Staaten wären verpflichtet, Estland zur Hilfe zu eilen.
Allerdings tritt der Bündnisfall nur dann ein, wenn sämtliche Nato-Staaten Artikel 5 einstimmig beipflichten. Ob dies der Fall wäre? Würden Nato-Mitglied Ungarn, welches sehr Russland-freundlich ist, oder die USA, die sich tendenziell eher von der Nato lösen möchten, zustimmen? Träte der Bündnisfall nicht ein, könnte dann Putin nach der Ukraine und Estland ungehindert weitere Länder besetzen? Es bleibt zu hoffen, dass dieses Szenario nie eintritt.
Und dennoch müssen auch wir uns auf den schlimmsten Fall vorbereiten. Selbst die Neutralität schützt uns nicht davor, eines Tages angegriffen zu werden, und es gibt keine Garantie, dass uns rechtzeitig jemand zu Hilfe kommt. Diese bittere Erfahrung musste die Ukraine bereits 2014 machen. Sie war damals ein neutrales Land. Nichtsdestotrotz besetzte Russland die Halbinsel Krim und annektierte sie. Dies bedeutete zwar einen völkerrechtswidrigen Akt, aber die Fakten waren geschaffen.
Was können wir tun, um unsere Sicherheit, namentlich die innere und die äussere, zu stärken, um unsere Souveränität glaubwürdig zu verteidigen – am Boden, in der Luft und im Cyberraum? Erstens muss der Handlungsbedarf überhaupt erkannt werden. Im Parlament ist dies der Fall, beim Bundesrat und in Teilen der Bevölkerung leider nicht. Wir fühlen uns immer noch als Insel der Glückseligen. Es braucht endlich ein Umdenken, in erster Linie bei der Landesregierung! Zweitens braucht es die notwendigen Mittel. Die Friedensdividende, von der wir 30 Jahre lang gezehrt haben, ist längst aufgebraucht. Nicht die Schuldenbremse, sondern die Sicherheit der Menschen in diesem Land muss endlich priorisiert werden. Drittens braucht es dafür genügend personelle Ressourcen, resp. eine Aufstockung: In Bezug auf die innere Sicherheit beim Nachrichtendienst des Bundes, damit wir der organisierten Kriminalität in unserem Land wieder Herr werden, und zusätzlich bei der Bundespolizei, dem Fedpol, um auch Terrorismus und Spionage wirkungsvoll bekämpfen zu können. Was die äussere Sicherheit anbelangt, benötigen wir eine Armee, die ausreichend alimentiert wird. Dafür muss die Sicherheitsdienstpflicht so schnell wie möglich in Kraft gesetzt werden, welche den Zivilschutz und den Zivildienst zu einem Katastrophenschutz fusioniert. Viertens müssen die internationalen Kooperationen weiter vorangetrieben und nicht zuletzt unser Verhältnis zur EU geregelt werden. Ich werde mich weiterhin dafür einsetzen, dass wir das alles tun, und ich danke Ihnen, wenn Sie mich dabei unterstützen.
Dieser Text ist am 13. Mai im Willisauer Boten erschienen.