„Wiedergutmachung“, Eklat und Vaterschaftsurlaub
1. Mai 2016 – In der Zwischenzeit durfte ich die Winter-, die Frühlings- und nun die Sondersession unter der Bundeskuppel erleben und mitgestalten. Immer wieder werde ich gefragt, wie es mir gefalle, ob ich mich gut eingelebt hätte.
Ja, es gefällt mir ausgezeichnet; ja, ich habe mich bestens eingelebt und ja, die Aufnahme durch die Kolleginnen und Kollegen war überaus zuvorkommend und freundlich. Auch wenn immer wieder parteiintern und –extern die Klingen gekreuzt werden, so wird nach geschlagener Schlacht das Kriegsbeil unverzüglich begraben. Der Umgang untereinander zeigt sich überhaupt sehr kameradschaftlich; da wird auch mal zusammen in einer gemütlichen Runde ein Lied gesungen oder nach gut schweizerischer Manier ein „Jass geklopft“.
Die Traktandenliste der Sondersession hatte es in sich und die Wogen gingen zuweilen hoch. Doch der Reihe nach: Die Volksinitiative „Wiedergutmachung für Verdingkinder und Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen“ verlangt eben eine „Wiedergutmachung“, wenn sie überhaupt möglich ist. Vorgesehen sind eine geschichtliche Aufarbeitung jener Zeit, sowie eine Entschädigung von max. Fr. 25‘000 pro Verdingkind. Eine rasche Umsetzung der Anliegen der Opfer ist wichtig, da viele Betroffene bereits betagt sind. Es ist aus heutiger Sicht unverständlich und für uns alle beschämend, dass bis 1981 Kinder fremdplatziert wurden, massiv Gewalt erfuhren, sexuell missbraucht oder auch als „unnütze Fresser“ betitelt wurden, wie mir ein heute 80-jähriger Luzerner und ehemaliger Verdingbub schrieb. Weshalb wurde geschwiegen, vertuscht und verharmlost? Unsere Betroffenheit darüber reicht nicht; wir müssen zwingend dafür sorgen, dass solches und anderes Unrecht nie mehr passiert!
Dass die Ausdehnung des Freizügigkeitsabkommens auf Kroatien nicht bei allen Parteien auf Zustimmung, geschweige denn minimale Akzeptanz stossen würde, war von Anfang an klar. Schliesslich wird damit die Voraussetzung dafür geschaffen, dass Kroatien gleich behandelt werden kann wie die übrigen EU-Mitgliedstaaten. Meine Begeisterung dafür hält sich in Grenzen. Die Erweiterung auf Kroatien ist aber die Voraussetzung, dass die Schweiz wieder an den europäischen Forschungsprojekten teilnehmen kann. Das Forschungsabkommen Horizon 2020 ist zentral für den Forschungs- und Innovationsstandort Schweiz. Ich habe dem Geschäft deshalb zugestimmt.
Bedauerlich, dass es bei dieser Debatte zum Eklat kommen musste. Unsere Landesregierung ist nicht zu beneiden. Was sich eine Bundesrätin, ein Bundesrat bisweilen anhören muss, spottet jeder Beschreibung. Da verstehe ich zwar, dass einer Magistratin auch einmal der Kragen platzt. Dennoch war es kein Zeichen von Stärke, dass Frau Bundesrätin Sommaruga während der Debatte kurzerhand den Saal verliess. Wenn Sie, geneigte Leserin, geneigter Leser, das Ganze im Internet mitverfolgt haben und es „gar nicht so schlimm fanden“, wie die Bundesrätin attackiert wurde, dann nur so viel: Es ist ein enormer Unterschied, wenn Sie einen Fussballmatch im Fernseher schauen oder wenn Sie im Stadion, einem Hexenkessel gleich, live dabei sind und mitfiebern. Ich befand mich im Nationalratssaal. Der Angriff auf Frau Sommaruga zielte weit unter die Gürtellinie.
Mein erstes „richtiges Votum“ hielt ich als Minderheitssprecherin der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur zur parlamentarischen Initiative Rusconi. Diese verlangte, dass das Tierschutzgesetz dahingehend zu ändern sei, dass eine Deklarationspflicht für alle Produkte aus getöteten Tieren eingeführt wird, die aus dem Ausland importiert, für den menschlichen Konsum bestimmt und nicht gemäss den Standards des Schweizerischen Tierschutzgesetzes produziert worden sind. Trotz grossem Verständnis dafür, dass für in- und ausländische Produzenten gleich lange Spiesse gelten sollen, empfahl ich diesen Vorstoss u.a. deshalb zur Ablehnung, weil das Ganze nicht kontrollierbar und die daraus resultierende Bürokratie nicht zu bewerkstelligen gewesen wäre. Gefreut hat mich, dass ich ursprünglich die Minderheit vertreten habe und es schlussendlich gelang, eine Mehrheit für die Ablehnung zu gewinnen.
Als ernüchternd empfand ich die Tatsache, dass ein meines Erachtens pragmatischer Vorschlag eines zweiwöchigen Vaterschaftsurlaubes, der über die EO zu finanzieren wäre, bachab geschickt wurde. Als vierfache Mutter weiss ich aus eigener Erfahrung, wie wertvoll die Präsenz des Vaters für Mutter und Kind unmittelbar nach der Geburt ist. Abgesehen davon wünschen sich je länger desto mehr junge Väter, in der Familie eine aktivere Rolle übernehmen zu können. Viele Unternehmen gewähren diese zwei Wochen heute schon. Auf den Punkt gebracht hat es ein „Twitterer“, nachdem der Nationalrat der Privilegierung unserer Landwirte bezüglich Besteuerung land- und forstwirtschaftlicher Grundstücke zugestimmt hat: „Eher kriegt ein Bauer zwei Wochen Urlaub, wenn eine Kuh kalbert, als dass der Nationalrat einen Vaterschaftsurlaub bewilligt.“