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«Spare in der Zeit, so hast Du in der Not»

5. April 2020 – Die Luzerner Ständerätin und Chefin der Mitte-Fraktion Andrea Gmür ist mit dem Krisenmanagement des Bundesrats zufrieden. Ohne weitere Nachbesserungen und Speziallösungen werde es aber nicht gehen. Und sie sagt: «Wir brauchen eine Perspektive, die das Warten erträglicher macht.»

Wo erreichen wir Sie grad? Sind Sie im Homeoffice?

Im Moment bin ich wie die meisten Leute in unserem Land im Home-Office anzutreffen. Ich habe zahlreiche Video- und Telefonkonferenzen und bin mit vielen Personen in regem Austausch über elektronische Kanäle. Letzte Woche hatten wir einmal eine Sitzung in Bern, aber sonst halte ich mich an die Vorgaben des Bundes und bin fast den ganzen Tag zu Hause.

Wie hat sich ihr Alltag in den letzten Wochen verändert?

Das Positive in diesem schwierigen Frühjahr ist, dass wir mehr Zeit für unser Familienleben haben, dass ich am Abend jetzt auch einmal zu Hause bin. Zwei unserer vier Kinder wohnen nun auch wieder zu Hause. Es gibt mehr Freiraum für Aktivitäten wie Joggen, Spazieren, Kochen oder zusammen Diskutieren. Auf der anderen Seite sind die Tage sicher eintöniger geworden als vorher. Viele Termine wurden gestrichen, was aber durchaus auch einen positiven Effekt hat, den ich im Moment noch zu schätzen weiss.

Wie beurteilen Sie das Krisenmanagement des Bundesrates?

Ich finde, unsere Regierung macht ihre Aufgabe sehr gut. Sie handelt schnell, und sie hat es geschafft, die Menschen in unserem Land schrittweise auf den für uns alle schwierigen Weg mitzunehmen. Dem Bundesrat ist es gelungen, die Prioritäten richtig zu setzen. Zuerst ging es darum, die gesundheitlichen Folgen in den Griff zu bekommen. In einem zweiten Schritt muss nun die Wirtschaft nachhaltig gestützt und möglichst rasch wieder in Gang gebracht werden.

Das Bild entstand nicht im Homeoffice, sondern anlässlich einer Politdiskussion 2019.

Macht der Bundesrat genug, um die wirtschaftlichen Folgen zu mildern?

Die Regierung ist laufend daran zu evaluieren, welche Massnahmen dazu notwendig sind. Das Hilfspaket Ende März in der Höhe von 40 Mrd. Franken war richtig und wichtig. Voraussichtlich wird es aber noch nicht genügen. Der Bundesrat wird zusätzliche Unterstützung für gewisse Berufsgruppen zur Verfügung stellen müssen. Die nächste grosse Aufgabe, die auf uns alle wartet, wird es sein, die drohende Rezession zu überwinden.

Wo muss der Bundesrat konkret nachbessern?

Es wird sicher Speziallösungen für gewisse Branchen brauchen. Ich denke zum Beispiel an die Gartencenter, die in diesen Wochen normalerweise einen Grossteil ihres Jahresumsatzes machen. Daneben gibt‘s zahlreiche weitere Berufsgruppen wie Ärzte, Physiotherapeuten oder Taxifahrer, die ebenfalls sehr stark von den Erwerbsausfällen betroffen sind. Sie dürfen zwar arbeiten, doch ihre Umsätze sind massiv eingebrochen. Hier müssen wir sicher gezielt Hilfe anbieten, um Konkurse und hohe Arbeitslosigkeit zu vermeiden.

Sind im Kanton Luzern spezielle Massnahmen für die lokale Wirtschaft geplant?

Der Kanton Luzern hat in den vergangenen Wochen viele zusätzliche Spitalplätze geschaffen, um die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung zu sichern. Zudem bringt er seine Anliegen auch via Volkswirtschaftsdirektorenkonferenz ein. Es ist aber nicht zielführend, wenn einzelne Kantone vorpreschen.

Wie lange trägt die Bevölkerung diese einschneidenden Massnahmen mit?

Wenn man in Krisenzeiten Licht am Horizont sieht, dann besteht die Gefahr, dass die Aufmerksamkeit zu früh nachlässt. Andererseits brauchen wir eine Perspektive, die das lange Warten erträglicher machen. Wir stehen nun vor einer heiklen Phase mit schönem Wetter, wenn die Leute nach draussen streben. Werden die Massnahmen nicht konsequent eingehalten, droht erneut ein steiler Anstieg der Neuinfektionen. Deshalb müssen wir die Bevölkerung dringlich dazu aufrufen, sich weiter strikt an die Regeln des Bundes zu halten. Es wird sicher länger als bis Mitte April dauern, bis wir die Massnahmen aufheben können.

Die SVP hat einen eigenen Plan für die Exitstrategie vorgestellt. Wie stellt sich die CVP den Ausstieg vor?

Die Zeit ist definitiv noch nicht gekommen, dass jede Partei ihre Exitstrategie vorstellen sollte. Im Moment gilt es, an den bestehenden Massnahmen festzuhalten, den Schutz der Gesundheit und die Stützung der Wirtschaft mit Hilfsmassnahmen ins Zentrum zu stellen. Über den Ausstieg werden wir öffentlich diskutieren, sobald wir die Neuinfektionen endlich im Griff haben. Lockerungen in einzelnen Bereichen sollten möglich sein, wie z.B. bei Arztpraxen oder Spitälern, die momentan einerseits keine Operationen durchführen dürfen, anderseits halbleer stehen und im Kurzarbeitsmodus funktionieren. Das kann es nicht sein. Speziallösungen braucht’s auch bei saisonalen Spezialunternehmen wie Gärtnereien. Da braucht’s rasch eine Lösung, damit nicht alle Pflanzen und Setzlinge einfach auf dem Komposthaufen landen und die Betriebe vor dem Aus stehen.

Die Politik scheint stillzustehen. Wann nimmt das Parlament das Zepter wieder in die Hand?

Im Hintergrund wird auch in diesen Wochen heftig gearbeitet. Wir führen virtuelle Sitzungen durch, es kommt zu Telefon- oder Videokonferenzen, selten auch mal zu einem Treffen in Bern. Im Mai findet zudem eine ausserordentliche Session statt. Auch wenn wir weniger öffentlich präsent sind, wird hinter den Kulissen zusammen mit den Verbänden auf allen Ebenen intensiv nach Lösungen gesucht.

Welche Lehren muss die Schweiz aus der Corona-Krise ziehen?

Jeder Einzelne, aber auch die Gesellschaft als Ganzes sollte wieder vermehrt ein altes Sprichwort beherzigen: «Spare in der Zeit, so hast Du in der Not.» Auch in einer Notsituation sollte man sich zumindest während einiger Zeit selbst über die Runden zu helfen wissen. Es beschäftigt mich, dass die vielgepriesene Eigenverantwortung rasch versiegt oder schlicht nicht wahrgenommen werden kann. Der Ruf nach dem Staat darf nicht andauern. Als Volkswirtschaft müssen wir in Zukunft die Abhängigkeit vom Ausland reduzieren oder zumindest alternative Lieferketten aufbauen, die Digitalisierung vorantreiben, vor allem aber möglichst rasch zurück zum Normalzustand zurückkommen und nicht einen permanenten Staatsausbau verlangen. Die Krise gibt uns neben allen desaströsen Folgen auch wertvolle Impulse für die Zukunft.

Das Gespräch führte Marc Lustenberger.